Gamestage 2012: Kunstanspruch oder Gratiskultur?

Am 24. April 2012 beginnen die Deutschen Gamestage mit der Entwicklerkonferenz Quo Vadis und A Maze, dem Festival für Independent Games. Auf der Konferenz, der wichtigsten dieser Art in Deutschland, kann man sehen und hören, was die Spielemacher des Landes gerade umtreibt.

Der untenstehende Artikel ist eine Langfassung meines Textes, der am 24.4. im Kulturteil der Welt sowie in Welt kompakt erschien. Der Link zu Welt Online und der dortigen Fassung wird nachgereicht – bisher (Stand 7:50 Uhr) ist der Artikel nur in der gedruckten Ausgabe zu lesen.

 

Auch wenn es nicht so aussieht, dies ist ein Videospiel: "TwinKomplex", ein Verschwörungsthriller, den man online im Browser spielt. Ein kunstvolles und kluges Gratis-Spiel - in diesem Genre ist das eine große Ausnahme. (Foto: ludicphilosophy.com)

 

Bernd das Brot oder Joseph Conrad?

In Berlin beginnen die Deutschen Gamestage 2012 – die Konferenz der Spieleentwickler ist auch ein Seismograph für die Stimmung in der Szene. Dies Jahr spürt man, wie die Gratiskultur die Spielemachern  beflügelt und ihnen gleichzeitig arg zusetzt: Denn sie stört den Anspruch, das Spiele auch Kunst sein können

Von Thomas Lindemann

Früher lagen hier sturzbetrunkene Mädchen in den Ecken, und die besten DJs Europas legten dazu auf. Heute Nachmittag beginnen im Café Moskau, diesem vom Szeneclub zum Kongresshaus gewandelten Symbolort in Berlin-Mitte, die Deutschen Gamestage – das wichtigste Treffen der deutschen Macher von Videospielen. Keiner, der in dieser vergleichsweise jungen Sparte schreibt, programmiert oder konzipiert, wird fehlen. In diesen Tagen kommt das Konklave einer neuen Unterhaltungsindustrie in die Hauptstadt.

Wenn die Kardinäle nun also beisammen sitzen, wird man ein Schlagwort immer wieder hören: “Free to play! Free to play!” Der Anglizismus umschreibt Spiele, die nichts kosten – und das ist derzeit das ganz große Erfolgsmodell dieser Kulturabteilung. Sie lebt von Games, die man im Browser spielt, oft bei der Arbeit, die den Spieler in Fantasy-Welten führen oder zum virtuellen Bauern machen – und die nichts kosten. Nur wer tief in die Spielwelt einsteigen will, der kauft seinem Helden für zwei echte Euros ein besonders schönes Pferd. Manche Firma ist mit diesem Prinzip aus dem Nichts zum großen Player aufgestiegen – allen voran der Hamburger Hersteller Bigpoint, der kaum zehn Jahre alt ist und schon 800 Menschen beschäftigt.

Aber auch wenn es kaum jemand offen sagt, inhaltlich ist das ewige “Free to play” auch eine herbe Enttäuschung. Große Videospiele waren bisher stolze Einzelwerke, kosteten 60 Euro und wurden von Hundertschaften jahrelang entwickelt. So entstanden die Trash-Epen der “Grand Theft Auto”-Reihe oder der interaktive Noir-Thriller “Heavy Rain”. So entstand überhaupt erst der Anspruch, Videospiele könnten Kunst sein. Mit Free-to-Play-Browser-Spielen über elektronische Bauernhöfe wäre es nie dazu gekommen, dass der Kulturstaatsminister am Donnerstag zum vierten Mal den Deutschen Computerspielpreis vergibt.

Dieses Dilemma steckt der Videospielszene in den Knochen, und darüber wird sie nun drei Tage debattieren. Das Programm der Entwicklerkonferenz “Quo Vadis”, Herz der Gamestage, verrät alles über die Sorgen und Hoffnungen deutscher Spielemacher. Immer wieder geht es darin um kostenlose Online-Spiele, Vorträge über “virtuelle Güter” werden gehalten, jemand spricht zwei Stunden über den Trend zu Bauernhofspielen wie “Farmville”. Der Spielekonzern Ubisoft wird ein neues Spiel vorstellen – free to play, natürlich. Fast vergeblich sucht man Vorträge über die großen, teuren Blockbuster, die technisch hochkomplexen Spiele, zu denen es oft tausendseitige Drehbücher mit ausführlichen Geschichten gibt.

Doch die Gamestage würden ihrer Bedeutung nicht gerecht, käme das nicht zumindest am Rande vor, und so wird etwa Michal Nowakowsi anreisen. Der Warschauer hat in sein Fantasy-Spiel “The Witcher” konsequent Erotik eingebaut und somit ein überflüssiges Tabu der Games-Szene gebrochen – eine halbe Million Spiele wurden verkauft. Nun kommt der Pole nach Berlin, um seinen deutschen Kollegen zu erklären, wie man mutige Konzepte umsetzt. Natürlich ist genau der fehlende Mut das wirkliche Hemmnis der deutschen Spielemacher. Denn selbst Browserspiele und Gratisspiele können eigentlich anders. Das sieht man etwa an “Trauma”, wo man eine Frau spielt, die nach einem Verkehrsunfall trau-matisiert ist und nicht wieder auf die Beine kommt.

Oder am eigenwilligen “TwinKomplex”, einer online zu spielenden Verschwörungsgeschichte, gemacht vom Künstler und Kulturtheoretiker Martin Burckhardt, gedreht mit großen Schauspielern wie Bernhard Schütz, Christian Brückner und Irm Hermann. Die Geschichte wird von einem Autorenteam weitergeschrieben, während die Fans bereits online den Anfang spielen – Ergebnis offen, selbst für die Macher des Spiels. Das alles ist möglich – aber es bleibt in Deutschland die Ausnahme. Das Problem widerspiegelt sich auf allen Ebenen. Es steckt letztlich auch hinter der gerade aufgeflammten Diskussion um die praktisch nicht vorhandene öffentliche Förderung von Videospielen. Während der deutsche Film rund 300 Millionen Euro an Fördergeldern bekommt, erhält das deutsche Videospiel nicht einmal ein Hundertstel davon.

Aber das ist nicht einmal das Hauptproblem. Traurig liest sich auch die Liste der Spiele, die gefördert werden, allesamt uninspirierte Massenware. Eine Spielfassung von “Bernd das Brot” hat rund 150.000 Euro bekommen. “Airline Tycoon” gut halb soviel. Eine Mensch-ärgere-dich-nicht-Adaption wird mit 40.000 Euro gefördert.

Gemein wäre allerdings die Behauptung, aus Deutschland kämen nicht auch kulturell relevante Spiele. Sie stehen derzeit nur schlicht nicht im Mittelpunkt. Beim Deutschen Computerspielpreis, der am Donnerstagabend als Höhepunkt der Games-Tage vergeben wird, ist ganz zurecht wieder die Hamburger Firma Daedalic Favorit – ihre etwas verrückten Werke befassten sich bisher mit Ökologie und Zeitreisen, einem Ausbruch aus dem Irrenhaus – und nun, in “Harveys neue Augen”, mit einer schüchternen Klosterschülerin, die aus Versehen Klassenkameraden angreift. Dieser herrliche Blödsinn ist ein Segen für die deutsche Szene.

Allerdings machen die Hamburger so genannte “Point & Click-Adventures”, technisch einfache Abenteuerspiele, bei denen man mit der Maus wählt, wohin man gehen möchte. Über das Genre stöhnte ein Mitglied der Computerspielpreis-Jury bereits im vergangenen Jahr: “Der deutsche Entwickler lebt und stirbt mit dem Point-and-Click-Abenteuer. Es langweilt uns alle.”

Trotzdem wird die Jury das Spiel gern auszeichnen, schon weil man es beim Deutschen Computerspielpreis ansonsten viel mit Kleinkram zu tun hat, von “Das verrückte Labyrinth” bis zum sehr soliden, aber überhaupt nicht überraschenden Fantasy-Spiel “Drakensang Online”. Zwar ist dieses Jahr mit dem Egoshooter “Crysis2″ überraschenderweise auch ein Ab-18-Spiel dabei, aber trotzdem liest sich auch die Nominiertenliste der LARA – des kommerziellen Preises, der am selben Abend vergeben wird – viel interessanter. Hier erst findet man “Battlefield 3″, “L. A. Noire”, “Portal 2″ – jene Spiele eben, über die im Jahr 2011 wirklich geredet wurde.

Wenn am letzten Abend der Games-Tage eine Runde großer Entwickler die Kaffeesatz-Frage “Wohin geht es in der Games-Branche?” beantworten soll, sitzt immerhin auch Timo Ullmann dabei, dessen Firma Yager mit “Spec Ops The Line” gerade ein hochaufwendiges Spiel fertiggestellt hat, dessen Budget Gerüchten zufolge mindestens 20 Millionen Euro groß war. Es wird in diesem Jahr das einzige deutsche Spiel von Weltrang werden – ein surreales Kriegsspiel, das Joseph Conrads Roman “Herz der Finsternis” in einen modernen Konflikt in Nahost überträgt. Die Ausschnitte, die bisher zu sehen waren, versprechen ein bitteres Szenario, welches das Scheitern der amerikanischen Militärmacht fühlbar machen will.

Damit könnte das Genre der Kriegsspiele – seit einigen Jahren das beliebteste von allen, mit seltsamen Rekord-Verkaufsmeldungen wie “6 Millionen Spiele in 24 Stunden” – endlich neue Impulse bekommen und von seiner albern affirmativen Ästhetik befreit werden. Bisher wird dort noch jedes Spiel mit dem Hinweis auf die “wahre, realistische Kriegserfahrung” beworben. Nun könnten es ausgerechnet die Deutschen sein, die das Gefühl von Albtraum und Beklemmung wieder zurückbringen. Das wäre des Landes von E.T.A. Hoffmann und Novalis vielleicht wieder würdig. Und es wäre ein Weg für Videospiele, wirklich künstlerische Aussagekraft zu erreichen. Mindestens aber wäre eine Debatte darüber ein würdiger Abschluss für das große Entwicklertreffen in Berlin.

 

 

Deutschlands große Entwicklerkonferenz und ihr Programm unter: www.deutsche-gamestage.de

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