Schuld und Sühne: “Spec Ops The Line”

Schuld und Sühne, digital

Ein in Berlin entwickeltes Videospiel belebt die Pazifismus-Debatte in den USA neu: Das Kriegsepos “Spec Ops” bringt dem Spieler bei, sich für die eigenen Gräueltaten zu schämen

Amerika am Ende: Ein Videospiel aus Berlin-Kreuzberg zeigt den USA, was ihr Krieg auch sein kann. Bitteres Scheitern statt Killererfolg.

Von Thomas Lindemann

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate haben eine kleine Videospielerszene, und Emirate-Vizepräsident Scheich al-Maktoum hält in Dubai jährlich eine Games-Messe ab. Doch sollte es auch politische Gamer und Cyberpunks im Land geben, sie hätten jetzt ihren Aufreger: Das deutsche Videospiel “Spec Ops: The Line” darf in den Emiraten nicht in den Handel.

Das könnte daran liegen, dass die Stadt Dubai darin mit enormem Aufwand in Schutt und Asche gelegt wurde, von Sandstürmen und Bürgerkrieg zerstört ist und zur Kulisse für ein Epos über Schuld und Kriegsverbrechen wird. Andererseits entspinnt sich vor diesem Hintergrund eine Geschichte, die Amerika bitter scheitern lässt und den ganzen Wahnsinn eines Krieges in Nahost fühlbar machen will.

Zwei Szenen des Spiels, eine vom Anfang, eine vom Schluss, könnten unterschiedlicher kaum sein. Zu Beginn ziehen die drei Soldaten, die der Spieler steuert, scherzend in das versandete Dubai ein. Die Stadt – minutiös nachgebaut anhand von Stadtplänen und Tausender Fotos – erstrahlt in aller postapokalyptischen Ruhe in der Sonne. Dann eine Szene vom Ende: Die Bilder sind plötzlich dunkel und bedrückend, tiefrote Sandstürme blockieren die Sicht, die Soldaten schreien sich an, ihre Stimmen (fantastisch gesprochen unter anderem von “Babylon 5″-Schauspieler Bruce Boxleitner) brechen.

Die Geschichte dahinter muss klassisch Belesenen und Cineasten bekannt vorkommen: Der Spieler wird als US-Soldat in das von der Außenwelt abgeschnittene Dubai geschickt. Dort ist ein US-Oberst namens John Konrad mit seinem Regiment verschollen.

Die Rettungsaktion wird aber keine solche, sondern ein Trip in die Hölle. Denn Konrad lebt und hat in den Trümmern der Stadt eine Terrorherrschaft errichtet. Das lässt an “Herz der Finsternis” von Joseph Conrad (dessen Name sich in der Hauptfigur des Spiels wiederfindet) und an den Film “Apocalypse Now” denken. Später drängen sich Bezüge zu Filmen wie Bryan Singers “Die üblichen Verdächtigen” oder dem Psychothriller “Angel Heart” auf – zu Kinofilmen also, deren Ende eine radikale Wendung bereithält, die alles in neuem Licht erscheinen lässt.

Solch eine Wendung ins Fürchterliche ist neu in Videospielen. Militärschießspiele sind, auch wenn das nicht jeden glücklich stimmen mag, das tonangebende Genre der letzten Jahre. Mit “Call of Duty Modern Warfare 3″ etwa wurden Ende 2011 fast 800 Millionen Dollar Umsatz in fünf Tagen gemacht. Der Hersteller Activision vermeldete stolz, so erfolgreich sei noch kein Start irgendeines Kulturprodukts gewesen. Und Spiele sind Kulturprodukte. Schießspiele sind, weil ihre lineare Anlage sich dazu anbietet, oft mit aufwendigen Geschichten ausgestattet. Das Spiel “Homefront” (2011), eine Story um den Einmarsch der Nordkoreaner in Amerika, schrieb Hollywood-Autor John Milius.

Der Erzkonservative Milius, Regisseur des Kriegsfilms “Die rote Flut” mit Patrick Swayze und Charlie Sheen, passte gut zum Militärvideospiel. Denn Kriegsspiele waren bisher durch und durch affirmativ. Die US Army freut sich regelmäßig über sie und stellt gern Berater. Und wenn man bei “Call of Duty” einmal ins Jahr 1968 reisen muss, um schlafenden Vietcong-Guerillas Messer in die Hälse zu rammen und danach zu Hardrock ein Dorf zu vernichten, ärgert das selbst manche der traditionell nicht sehr kritischen Intensivgamer. “Durch solche Exzesse wird ein Spiel nicht besser”, klagt einer im Internet.

Ausgerechnet die Deutschen sind nun aber die ersten, die den ewigen Hurra-Militarismus der Spiele brechen. “Die Amerikaner schießen im Nahen Osten auf alles, was sich bewegt – dieses Konzept reicht heute nicht mehr”, sagt Timo Ullmann, Geschäftsführer von Yager. Seine Firma hat “Spec Ops: The Line” entwickelt. Aufwendig entwickelt: 30 bis 40 Millionen Euro soll es gekostet haben. Das wäre sechs bis acht Mal so viel wie das Budget von Til Schweigers Kinoerfolg “Keinohrhasen”.

Ein seltsamer, schöner Sieg des ostdeutschen Denkens liegt auch darin. Die fünf Firmengründer lernten sich Anfang 1986 im “Haus der jungen Talente” in Ostberlin kennen. Dort wurde damals der erste Computerklub der DDR gegründet. Bis heute nennen die Männer sich daher scherzhaft “Computer-Ossis”. Nach der Wende kamen sie mit ihren mühsam geschmuggelten C64 in den Westen und mussten merken, dass dort sie Szene schon wieder viel weiter war. Doch sie hielten Anschluss. Was nun am Schlesischen Tor in Berlin-Kreuzberg fünf Jahre lang produziert wurde, von zeitweise 100 Menschen, ist eines der aufwendigsten deutschen Kulturprodukte dieses Jahres überhaupt. Es soll um die Welt gehen – und wird es wohl auch: Fachmagazine in den USA sind schon jetzt begeistert.

Das zeigt, dass die USA wieder bereit sind für eine Debatte, die das Kino seit den Sechzigern intensiv führte – die um Kriegsfilme und Antikriegsfilme. Letztere zeigen Schrecken des Krieges, ohne zu heroisieren und zu beschönigen. Eine Debatte, ob das möglich sei, begleitet sie von Anfang an. Der Filmwissenschaftler Georg Seeßlen etwa meint schon immer, es gebe gar keine Antikriegsfilme – denn bisher habe noch das übelste Machwerk von sich behauptet, einer zu sein. Das Medium Videospiel könnte diese Frage aber neu verhandeln. Wegen der Besonderheit, dass der Rezipient es steuert, kann es starke Identifikation mit einer Figur erzeugen. Es experimentiert bisher kaum mit der Option, diese wieder scheitern zu lassen. Das tut “Spec Ops: The Line” nun. Bisher ist dem Spieler die Suggestion, er selbst sei der, der da auf dem Bildschirm waltet, noch nie so im Halse stecken geblieben.

Schon nach kurzer Zeit trifft die Hauptfigur auf einen Platz, in dessen Mitte zwei gefesselte Delinquenten von einer Stange herabhängen. Der geheimnisvolle Oberst Konrad, der den Spieler längst beobachtet und verhöhnt, funkt ihn nun an und sagt: Bestimme du doch, wer sterben muss. Einer hat Wasser gestohlen, der andere Unschuldige umgebracht. Jeder muss nun selbst entscheiden. Exekutiert er eine der Personen und gewinnt Konrads Vertrauen? Tötet er keinen und kämpft gegen Konrads Schergen? Befreit er beide? Tatsächlich gibt es mehrere Wege – aber leider, ganz dem psychologischen Theorem des “double bind” folgend, nur paradoxe und keinen einzigen guten. Das macht schizophren, sagt der Philosoph Gregory Bateson. Der Krieg vielleicht auch.

Psychologisch verstörende Situationen wie diese dominieren das Spiel bald immer mehr. Es drückt den Niedergang seiner Protagonisten in einem quasi Gerhardt Hauptmann folgenden Naturalismus aus. Die Welt rebelliert. Sand und Wind rücken immer näher an uns heran, das Licht wird bedrohlich. Man bekommt das Gefühl, eine Studie zur posttraumatischen Belastungsstörung zu spielen – und hat sich auf perfide Weise immer tiefer in Schuld und Sühne verstrickt, irgendwann sogar Kriegsverbrechen begangen. Sterbende, denen man nicht mehr helfen kann, liegen am Boden und klagen uns an. Der Spieler muss hindurch.

Dass sich hier eine Ästhetik des Verstörenden einstellt, ein wahrer Kunstcharakter, liegt nicht an den schönen Bildern des zerstörten Dubai, dieses Symbols der blühenden Zivilisation auf unwahrscheinlichem Posten. Es liegt auch nicht an optischen Details wie der jeder Videokunst würdigen Darstellung vom Sandsturm, an der übrigens ein Mann monatelang arbeitete. Es liegt daran, dass man am Ende dieses Spiels, das lange Spaß machte, den Game-Controller aus der Hand legt und Ekel vor dem Militär und vor sich selbst empfindet.

“Das Ekelhafte und physisch Widerliche”, sagt Adorno in seiner ästhetischen Theorie, zeigt, dass Kunst die “Herrschaft verklagt … und für das zeugt, was jene verdrängt und verleugnet”. Etwa den Horror des Krieges, den auch das Kino derzeit kaum noch zum Thema hat – zuletzt floppte eine Welle von Irak-Filmen seit etwa 2008 fast komplett. Nun ist es ausgerechnet einem Videospiel gelungen, diese Lücke im kritischen Diskurs zu übernehmen.

 

Dieser Artikel erschien zuerst, und zwar im Juli 2012, in Welt, Welt kompakt, Berliner Morgenpost und bei Welt Online.

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