Yager: Erst der DDR-Klub, dann die ganze Welt

Porträt der Berliner Games-Entwickler von “Yager Design”

 

Das Büro von "Yager" in Berlin-Kreuzberg

 

Die wollen nur spielen

Fünf Freunde auf dem Weg nach oben: Sie trafen sich Mitte der 80er im Computerklub der DDR. Sie blieben zusammen. Nun haben sie mit “Spec Ops: The Line” eins der teuersten und interessantesten Videospiele des Jahres 2012 herausgebracht

Timo Ullmann schmerzt die Schulter. Er hat wieder ein paar Sprünge gemacht, auf den Judomatten. Ullmann ist der Chef der Berliner Videospielefirma „Yager“. Über seinem Berliner Loftbüro, wo 100 Menschen für ihn programmieren, zeichnen, Pistolensounds basteln und Energydrinks kippen – oben über dem eigentlichen Büro gibt es ein Zimmer, das mit Matten ausgelegt ist. Dort haben sie Erschießungen gespielt, für ihr Spiel „Spec Ops The Line“. Sie haben für die Kamera vorgemacht, was die Spielfiguren tun. „Das war emotional ziemlich hart“, sagt Timo Ullmann. „Zuerst fanden wir uns lustig, und nach und nach blieb allen das Lachen im Halse stecken.“

Besser könnte man ihr Spiel nicht beschreiben. Die Deutschen haben eines der größten und wichtigsten Spiele dieses Jahres geschaffen. Rund 40 Millionen Dollar soll es gekostet haben – soviel wie ein mittelgroßer Hollywoodfilm und mehr als jeder aktuelle deutsche. Es fängt als lässiges Kriegsspiel an, und zeigt dann mehr und mehr den Schrecken des Tötens. Sehr ungewöhnlich für Videospiele. „Wie wollten dem üblichen Hurra-Patriotismus in der Spieleszene etwas entgegensetzen“, erklärt Ullmann.

„Wie zum Teufel sind sie damit durchgekommen?“, fragte ein amerikanisches Spielemagazin – um am Ende der Besprechung „10 von 10 Punkten“ zu geben. Wer „Spec Ops The Line“ an der Playstation spielt, zieht frohen Mutes in die Schlacht, gerät in Hinterhalte, verliert erst seine Selbstsicherheit, dann seine Kameraden und wird plötzlich versehentlich selbst zum Kriegsverbrecher. Das dürfte das erste Antikriegsspiel sein. Was Filme wie „Apocalypse Now“ und Romane wie „Herz der Finsternis“ leisten, das kann nun auch ein Spiel. Es erntet gerade Lob aus der ganzen Welt.

Begonnen hat diese überraschende Erfolgsgeschichte vor 25 Jahren. Damals haben kamen Ullmann und die Männer, mit denen er die Firma „Yager“  leitet, zusammen– als Teenager in der DDR. Uwe Bennecke, Roman Golka, Philipp Schellbach, Timo Ullmann, alle um 1972 geboren und alle heute knapp vierzig, trafen sich als Teenies im „Haus der jungen Talente“. Da ließ die DDR ihren ersten und einzigen Computerclub laufen. Es gab schon ein wenig „Laissez-faire“ in der strebenden Diktatur, erinnert Ullmann sich. „Die wollten wohl technisch Anschluss finden.“ Also wurde es geduldet, dass viele auch West-Computer mitbrachten – irgendein Verwandter fand sich oft, der einen C-64 über die Grenze schmuggelte. Computerfreaks waren noch seltsame, harmlose Außenseiter. Jetzt, im Spätsommer 2012, sitzen die fünf Freunde in einem Konferenzraum ihrer eigenen Firma. Auf schwarzen Sofas, vor einem riesigen Fernseher, an dem Playstation, Xbox und alte Spielkonsolen hängen. Was für viele Männer ein Traum wäre, ein ideales Wohnzimmer, hier ist es Arbeit.

Sie denken gern an die 80er. Wie dann Mathias Wiese dazukam, der fünfte im Bunde. Er ist studierter Bildhauer, hatte einen Platz an der Kunsthochschule Weißensee ergattert. Aber eigentlich interessierten ihn nur Computerspiele. Und Philipp, der war eigentlich beim „Omnibus“. Alle lachen, wenn er das erzählt. „Omnibus“, das war der berühmteste Jungenchor der DDR, so etwas wie die Wiener Sängerknaben des Ostens. Bloß kam Schellbach irgendwann in den Stimmbruch und dann war alles vorbei. Er suchte ein neues Hobby und bekam einen HC-85, den Heimcomputer der DDR. Später einen C-64 vom Westonkel. Vom Commodore Amiga, dem mit den sechzehn Millionen Farben, konnte man nur träumen – 10.000 Ostmark kostete er, soviel wie ein kleines Haus. Uwe Benecke haben sie im Zug nach Leipzig kennengelernt, zur Frühjahrsmesse, da gab es immer einen Commodore-Stand. „Wir kamen mit einem C-64-Aufkleber zurück“, sagt Schellbach. „Und wir waren so stolz darauf.“ In Berlin traf man sich immer wieder. Telefone gab es nicht. Aber einer ging beim anderen vorbei und klingelte.

Wenn sie heute aus ihrer Fabriketage treten, stehen sie direkt an der Spree. Man blickt auf die O2-Arena und die East Side Gallery, den kunstvoll besprayten Rest der Berliner Mauer. Daneben auf die Oberbaumbrücke, über die nachts das Partypublikum zieht und auf der immer zwei bis drei Bands stehen. Hier am Schlesischen Tor in Kreuzberg dürfte derzeit das Zentrum der Szene Deutschlands sein. Hier sitzt nun auch die aufregendste deutsche Games-Firma – nur noch „Crytek“ aus Frankfurt produziert auch so große und aufwendige Spiele.

Als vor 15 Jahren die Firmengeschichte begann, gab es nur die fünf Männer und eine Idee für ein Science-Fiction-Videospiel. Dieser Vorgänger ihres heutigen Spiels hieß „Yager“, wie das Unternehmen, und erschien 2003. Investoren empfingen sie vorher in der Küche von Roman, dem großen Programmier unter ihnen. „Meine Bude sah am besten aus. Die hatte Laminat“, erinnert er sich. Das war im Friedrichshain, in einem echten Berliner Zimmer, diesem seltsamen Wurmfortsatz der ostdeutschen Altbauen, zum Hof hin, mit nur einem kleinen Fensterchen. Die Szenen aus dem Videospiel, das es bisher ja nur in Köpfen der fünf gab, hatte Matthias Wiese gemalt – in Öl, auf große Leinwände. Damals gab es keine Computerspielemesse, keine Games-Entwickler-Tagung, noch kein Millionenpublikum. Auf der CeBit Home rannten sie umher, erzählten jedem von ihrer Idee, hatten sich in schief sitzende Anzüge gezwängt.

Die Hartnäckigkeit blieb ein Markenzeichen dieser Gang of Five. Um 2000 haben sie alle eine Woche im Büro geschlafen, CDs gebrannt, Konzepte ausgedruckt. Das Taxi zur Unterhaltungsmesse in London wartete unten, aber es mussten noch ein paar Rohlinge mit der Vorab-Version ihres Spiel gebrannt werden. Auch nach L.A., wo es inzwischen eine eigene Messe für Spiele gab, flogen sie immer wieder. Irgendwann flüsterte man sich dort an der West Coast zu: „Da sind die Exoten aus Europa wieder“. Das war ein Kompliment. Die Amerikaner, unsere großen Brüder auch in diesem Zweig der Unterhaltungsindustrie, hatten sie zur Kenntnis genommen. Darauf ist Ullmann heute noch stolz.

Kurz vor der Jahrtausendwende bezog die Firma ihr erstes kleines Büro. Der Vermieter kapierte nicht, was das junge Unternehmen tut und fragte: „Spielt Ihr die ganze Zeit?“ Nein. Man arbeitete. Hart. Ab und zu legte sich jemand aufs Dach und ruhte sich aus. Und fotografierte den Himmel. „Da gab es immer so schöne Wolken“, findet Uwe. „Die Himmel aus dem Sci-Fi-Videospiel Yager, unserem ersten, stammen alle aus der Gubener Straße in Berlin-Friedrichshain.“

Fünf Männer, fünf Ideen, fünf Charaktere. Aber wie bei jeder guten Bande sind die Aufgaben klug verteilt, vielleicht funktioniert deswegen alles so prächtig. Timo Ullmann ist der Kopf der fünf, der smarte Denker, der nach Außen wirkt und Gamer wie Geschäftleute gleichermaßen überzeugt. Sein Kompagnon Philipp Schellbach leitet mit ihm die Firma, als Direktor der Entwicklung. Matthias Wiese ist für die Visionen zuständig. Er dachte sich das große Charakteristikum des Spiels „Spec Ops“ aus: Die Sandstürme! Wie ein Symbol für die Verwirrung des Soldaten trüben sie alle die Szenen mal rötlich-düster, mal gefährlich-weiß ein. Dafür schickte Wiese extra Leute in die Wüste und ließ dann ein aufwändiges Grafik-Tool programmieren. Uwe Beneke entwickelt und erdenkt ständig neues für die Zukunft – er hat eine Handvoll neuer Spielideen in der Schublade. Und Roman Golka ist heute Chef der IT und Sicherheit, er kann mit Technik und mit Zahlen besonders gut.

Apropos Zahlen: Zwei Milliarden Euro haben die Deutschen 2011 für Spiele ausgegeben – mehr als für Filme oder Musik. 72 Millionen Spiele wurden verkauft. Und nicht nur an die Teenies. Der Durchschnittsspieler ist 32, vier von zehn Prozent sind Frauen. Die erfolgreichsten Videospiele der letzten Jahre waren Kriegsspiele – sie sind derzeit das angesagte Genre. Die ganz großen Blockbuster, „Call of Duty“ oder „Medal of Honor“, verkaufen sich millionenfach. (Call of Duty machte 2011 angeblich an einem Tag 400 Millionen Dollar Umsatz.) Aber eines ist ihnen allen gemeinsam: Sie sind verdammt unkritisch. Amerikaner killen darin böse Russen oder arabische Turbanträger. Die deutschen von Yager wollten etwas Neues finden. Und sie mussten auch, um sich dagegen zu behaupten.

„Als unser Spiel fertig war, hatten wir Angst“, gibt Ullmann zu. „Spec Ops The Line“ ist ein Schlag ins Gesicht des amerikanischen Militarismus. Die US-Flagge hängt falschherum in dem Spiel, und es beginnt gleich mit einer Coverversion von Jimi Hendrix „Star Spangled Banner“ – der Gitarrengott hatte die Hyme 1969 in einer bitteren, lärmenden Anti-Version gespielt, in Woodstock, als Protest gegen den Vietnamkrieg. „Das hätte ja auch Wut auslösen können in den USA, da kommen ein paar Ossis und werfen denen ein kriegkritisches Spiel hin“. Dann kamen die ersten Rezensionen. Und es gab viel Lob. Selbst die Kritiker, die das Spiel nicht mögen, ziehen den Hut vor dem Mut der Macher. Dann erst haben die Fünf aus Kreuzberg gefeiert. „Da konnten wir endlich glauben, es hat wirklich geklappt alles“, sagt Ullmann. Sie schmissen sie eine Party, in einer zum Club umgebauten DDR-Turnhalle, soviel Ostalgie muss sein. Es ging bis morgens.

Nun geht es natürlich gemeinsam weiter. Die Videospiel-Szene stagniert gerade ein wenig, es gibt wenig Überraschungen, man kennt alles schon. Daher warten sie auf neue Technologien. Nächstes Jahr dürften modernere Konsolen erscheinen, die Playstation4, eine neue X-Box – das wird der Spielesezen einen Schub geben. Während aber sonst alle nur auf noch feinere Grafik und vielleicht 3D warten, haben die Yager-Jungs ganz anderes im Sinn: „Die Technologie wird dann die Gefühle der Figuren zeigen können“, erklärt Philipp. „Das erlaubt ganz neue emotionale Tiefe, ganz andere Spielerlebnisse.“

So suchen sie weiter nach Spielideen, die auch Erwachsene faszinieren. Vier der fünf haben Kinder heute. Und einer, Uwe, hat den 5. Dan im Ninjutsu, der Kampfkunst der Ninja. Diese Männer sind nicht nur besessenen Computerfreaks. Sie sind auch normale Enddreißiger. Vielleicht etwas lässiger als normale Enddreißiger. Es steht ihnen gut, zu den besten Spieleentwicklern des Jahres zu gehören.

Thomas Lindemann

Der Artikel ist in ähnlicher Fassung zuerst in der Zeitschrift “Gala Men” erschienen, Oktober 2012.

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