Die Philosophie der Egoshooter
Von Thomas Lindemann
Als Diedrich Diederichsen und sein Umkreis Mitte der 80er die Subkultur ihrer Jahre so hellsichtig umrissen, kam auch ein neuerkultureller Kosmos zum Vorschein: Die Musik von Heaven 17 und Scritti Politti,von Hüsker Dü, die Idee des camp, französische Philosophie, das LSD –und immer wieder: der Zombiefilm. Die Liebe zum Trash mit den Untoten war die subversive Albernheit der Post-Hippies.Vielleicht war sie kritisch gemeint, vielleicht bloß Unterhaltung. Das war egal – sie provozierte sogar noch den ewigen anderen, den Burgeois.
In einer (längst überfälligen) Bestandsaufnahme unserer heutigen Jahre gäbe es auch ein solches albernes und gleichzeitig kritisches Element: Es wäre der Egoshooter. Es gibt inzwischen eine große Altersgruppe, in der man kam einen denkenden Kopf findet, der nicht in „Half-Life“ gegen ein totalitäres Science-Fiction-Regime gekämpft hat. Oder zum Soundtrack der Nine Inch Nails „Quake“ gespielt hat. Oder darüber nachgedacht hat, ob der „Duke“ aus dem Shooter „Duke Nuke Em“ nun ein rechter Macho oder dessen kluge Parodie ist.
Dass der Egoshooter jahrelang Gegenstand heftiger Kritik von Seiten despolitischen Establishments war, hat ihm offenbar nicht geschadet. Der Online-Händler Amazon stellt eine eigene Rubrik „Egoshooter“ bereit – mit derzeit 650 Einträgen. Und auf der Kölner GamesCom, Europas größter Messe für Videospiele, wird ab heute wieder klar: Die wichtigsten, aufwendigsten und interessantesten neuen Spiele sind Egoshooter.
Daher wird es Zeit, die kulturelle Strahlkraft dieserSpielidee anzuerkennen – einer Idee, die sich seltsamerweise über ihrePerspektive definiert: Ich schaue in die Welt. Wer Egoshooter spielt, begibt sich in eine riskante psycho-soziale Simulation. Er rennt als einzelner durchein feindseliges Außen, schaut geradeaus und klammert sich verzweifelt an etwas fest, das ausgerechnet eine Waffe ist. Er karikiert das kapitalistische Einzelkämpfertum und verhöhnt den Drang des modernen Menschen, zu reisen undneue Welten kennenzulernen. Er steigt nur in unwirtliche Horrorwelten hinab.Ein Egoshooter ist mehr als ein Spiel – er ist eine philosophische Studie über die Art, wie wir uns in der Welt sehen.
Das erklärt seinen Erfolg mit. 40 Jahre nach seinen Anfängenund fast 20 Jahre nach dem ersten Egoshooter, „Wolfenstein 3D“, ist das Genrezum führenden Typus Videospiel geworden. Und das Videospiel soll bekanntlichein Massenvergnügen geworden sein. Anlässlich der Messe verkündete die Industrie, gestützt von der GfK, das 23 Millionen Deutsche Spieler seien. Knapp die Hälfte davon Frauen.
Ein Großteil dieses wirtschaftlich-sozialen Erfolgs gehörtdem Prinzip Egoshooter. Das deutsche Spiel „Crysis2“ hat gerade den EuropeanGames Award gewonnen, in sechsKategorien. Die absurd erfolgreiche „Call of Duty Modern Warfare“-Reihe verlegtin ihrem neuen Teil den Krieg nach New York, Paris und London, rückt demPublikum also immer weiter auf die Pelle. Die dümmlichen Fantasien von derMacht eines einzelnen, die diesen Spielen innewohnen, wären Stoff für Diskussionen. Aber auch der Enthusiasmus dieser Spiele, jede womöglich heilebürgerliche Welt zerstören zu wollen. Im günstigen Fall ist das dem Spieleingeschrieben. Die „Fear“-Reihe hatte (bevor sie mit dem neuen, dritten Teil bedeutungslos wurde) eine mythische Mutterfigur als Herrin des brutalen Geschehens eingebaut, einen C. G. Jungschen Archetypus, der immer wieder in Traumvisionen erscheint.
Wo solch ein ausdrücklich verstörendes Element fehlt, wirddoch die Dringlichkeit stets überbetont. Immer wieder geht es in die Endzeit,immer wieder muss der Spiele eine Art Mad Max werden. Etwa in dem neuen Actionspiel „Rage“. Oder in Sonys Großprojekt „Resistance 3“: „Kalte neue Welt“heißt dieses Spiel in Anlehnung an Aldous Huxley. Auf der QuakeCon in Dallas,einer eigenen Messe (!) nur für Egoshooter-Macher, tönte einer der Designer in einer Rede, das ganze Team habe während der Arbeit „The Road“ gelesen, denBestseller des Pulitzer-Preisträgers Cormac McCarthy, in dem Vater und Sohn durch ein zerstörtes Amerika reisen. Ein Stück große Literatur soll Vorbild von„Resistance“ sein.
Die Zerstörung, das Tote, oder ihr Vorbote, die Unterseiteder modernen Kultur, waren schon immer beliebtes Thema der Egoshooter. Konsequenterweise zeigen sie gern die ubiquitären hässlichen Seiten der Zivilisation – sie spielen in Parkhäusern, Kanalsystemen, vor verkommenden Betonfassaden. Öffentliche Toiletten kommen als Running Gag immer wieder vor. Die polnische Künstlergruppe „Martwica“ arbeitete einmal Screenshots aus„Half-Life“ zu Collagen-Kunst um. Ihre Begründung: Die Bilder aus dem Spielerinnern so sehr an die Bausünden der Warschauer Vorstadt, Realität und Spielfügten sich gut ineinander.
Es muss eine große Lust geben, die diese kaputten Weltenhineinzugehen, sich teilnehmend mit dem Schmutz der Moderne auseinanderzusetzen. Als die Gerüchte, es werde bald eine Fortsetzung des Spiels „Half-Life“ geben, kürzlich dementiert wurden, demonstrierten enttäuschte Fans vor dem Firmensitz des Herstellers Valve.
Der Egoshooter ist das einzige Spielegenre, das immer wieder schnell auf politisches Geschehen reagiert. Kurz nach der Erschießung Osama BinLadens konnte man in einer kostenlosen „Counterstrike“-Erweiterung selbst einvirtuelles Abottabad stürmen. Und das deutsche Spiel „1378 km“ machte den Spieler zum DDR-Soldaten oder zum Flüchtling an der Mauer. In der von einem Studenten programmierten Szenerie musste man dann eben entscheiden, ob maneinen Flüchtling ziehen lässt. Oder mit ihm redet. Oder die Seite wechselt. Alles war möglich – sogar der Todesschuss.
Die neuen Spiele, die das erfolgreichstealler Game-Genres fortschreiben werden, lassen sich als Anmerkung zum Zeitgeistlesen. In „Battlefield 3“ etwa wird man zum Soldaten und muss den Horror des modernen Krieges selbst durchleben, den wir heute aus Wikileaks-Videos und Ähnlichem viel näher kennen, als wir wollen. Auf der Pressekonferenz desHerstellers Electronic Arts jubelte einer der Manager, man habe die „beste, authentischste Erfahrung von Kriegsgeschehen“ geschaffen. Als sei es eineFreude, drinzustecken. Das Publikum applaudierte. Wer diese Erfahrungen alsospielt, wird dabei zum mitfühlenden Zyniker, einem paradoxen Sozialtyp: Er will die Welt verstehen, ballert aber am Ende doch wieder nur. Man fühlt sich dabei seltsam nah am Puls der Zeit – das „Man down!“, das die virtuellen Kameraden immer wieder aus dem PC-Lautsprecher rufen, trällert doch auch Rihanna zurzeitso hypnotisch alle paar Minuten aus dem Radio.
Selbst misslungene Shooter lassenhier und da auch mal einen Gedanken aufflammen. Das gerade neue „Duke NukemForever“ ist so etwas wie das „Chinese Democracy“ der Gameswelt: Fünfzehn Jahrelang ließ die Fortsetzung dieser Reihe auf sich warten, ähnlich wie das neue Album von Guns’n'Roses. Nun ist das Spiel da, ist technisch schwerfällig und macht wenig Spaß. Aber es spart nicht mit herbem Sarkasmus gegen die Medienkultur der USA und zeigt auch mal die Star-Teenager Mary Kate und AshleyOlsen beim Oralsex mit einem dümmlichen Muskelprotz – soviel erlaubt sich derzeit sicher kein Hollywoodfilm.
Nachdem die Gewaltdebatte vorbei ist, muss der Egoshooternun zeigen, ob er kulturell eine Berechtigung hat. Der schwedische AttentäterAnders Breivik nannte in seinem wirren Manifest auch mehrmals den EgoshooterCall of Duty Modern Warfare. Wieder flammte kurz Kritik auf – diesmal allerdings fast nur innerhalb der Spielerszene. In Foren wurde diskutiert, was ein moralisch besseres Ballerspiel sein könnte. Im neuen Spiel „Deus Ex 3“ gibt es mehr Punkte, wenn man Gegner betäubt und nicht tötet, betont jemand. Andere Spiele bieten die Möglichkeit, durch Schleichen an den Gegnern vorbeizukommen.
Will man Egoshooter als Kulturgut ernst nehmen, führt dasschon wieder in Probleme. Die Debatte wirkt dann, als stritten junge Griechen des siebten vorchristlichen Jahrhunderts um Homers neues Werk so: Wäre es nicht menschlicher, Odysseus hätte die Freier im 21. und 22. Gesang nicht so brutal umgebracht, sondern geohrfeigt und rausgeworfen? Wirklich befremdlich ist, wiesehr selbst Fans das Spiel also ernst nehmen. Darin gleichen sie Berufskritikernwie dem SPD-Mann Christian Pfeiffer. Keine Studie konnte jemals ernsthaft eine negative Wirkung von Schießspielen nachweisen – die Debatte um sie wird also rein ideologisch geführt. Das macht sie interessant. Von „Indoktrinierung“ und„unterschwelligen Botschaften“ ist nun auf den Webseiten die Rede, in denenkritische Gamer sich austauschen. Soviel Macht wurde lange keinem Unterhaltungsprodukt zugesprochen.
Walter Benjamins Engel der Geschichte geht bekanntlich rückwärts durch die Zeiten und muss mit ansehen, wie die Menschen Krieg und Zerstörung aufeinander häufen. Der Egoshooter als Figur ist sein negatives Zerrbild, er geht vorwärts in den Schutt und die Destruktion hinein, um sie zu vergrößern. Kein Engel eben, nur ein Verlorener der Moderne. Niemand hat gesagt, dass Egoshooter ein schönes oder erhebendes Kuturgut seien. Nur ein wichtiges und aufschlussreiches sind sie.
Eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien im August 2011 im Kulturteil der “Welt”
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