Max Payne 3: Höhepunkt und Sackgasse. Das Problem der Narration.

Katholisches Inferno

Max Payne 3 ist eines der Videospiele des Jahres. Aber es zeigt auch, wie Rockstar Games, die wegweisende wichtigste Gamesfirma der Welt, mit ihren Ideen langsam in die Sackgasse gerät. Sie braucht einfach neue, um cool zu bleiben – mit ihren bisherigen hat sie sich zu Tode gesiegt. Eine der Fragen, die sich inzwischen aufdrängen: Warum immer wieder nur Stories um schuldbeladene Männer, die das reinigende Feuer suchen?

Von Thomas Lindemann

Action-Helden sterben nicht. Aber ein einziges Mal hätte es Max Payne, diesen Ex-Bullen und Revolvermann der modernen Großstadt, fast erwischt. Es gibt eine Szene, da hätte er keine Chance gehabt gegen einen Hinterhalt, doch plötzlich springt neben ihm ein Verwahrloster aus seiner Wohnungstür. Ein Gescheiterter, unbehost, langhaarig, im Parka, und er rettet Max, indem er den Angreifer erschießt. Ringsherum brennt es schon. Der Penner sagt dann zu Max, also zu uns, den Spielern: „Keine Angst vor dem Feuer. Es wird dich reinigen.“

Dieses tief katholische Motiv ist der Grundgedanke dieses Spiels – vielleicht sogar der Grundgedanke bei „Rockstar Games“, dem Hersteller, der uns auch andere wegweisende Spiele wie „Grand Theft Auto“ oder „Red Dead Redemption“ brachte. Vor wenigen Tagen ist „Max Payne 3“ erschienen und wieder wird eine der ganz großen Spielereihen fortgesetzt. Wieder campierten Fans vor Geschäften. Wieder werden Millionen umgesetzt.

Das erste „Max Payne“ erschient vor elf Jahren, erzählte von einer Verschwörung innerhalb der New Yorker Polizei und vom Rachefeldzug des Max Payne, dessen Frau und Kind ermordet wurden, weil sie zuviel wussten. Das Spiel war eine große Schießerei und wurde in Deutschland sofort indiziert. Aber Henry Jenkins vom M.I.T., Gamesforscher der ersten Stunde, nannte es Kunst. Man kann in dem Spiel und seinen Nachfolgern die Zeit verlagsamen, jenen Effekt erleben und steuern, den die „Matrix“-Filme aufbrachten. Alles im Dienst des Kampfes. Max Payne ist ein Pistolenballett, eine überzogene Ballerei im Stil des Hongkong-Regisseurs John Woo. Wäre Max Payne Kino, hätte es sicher schon viel Lob für seine opulente und düstere Szenerie erhalten.

Aber es ist ein Videospiel. Und so fand sich etwa bei den Kollegen von der „Zeit“ doch tatsächlich jemand, um in das kulturkonservative Horn zu stoßen – bloße Gewaltorgie sei das Spiel und „MTV-hafte“ Inszenierung des Tötens. Die Fachmagazine für Spieler dagegen loben es schon jetzt zum Klassiker hoch, wer ein Wertungssystem hat, vergibt oft die höchste mögliche Punktzahl. Beides ist Unsinn. Das Spiel ist gelungen, seine Geschichte komplex, seine Bilder sind atemberaubend. Und trotzdem funktionert es nicht ganz, es zeigt, dass das Prinzip von Rockstar Games hier an ein Ende kommt.

Doch zunächst bringt das Spiel eine großartige Erkenntnis: Videospiele beerben den Film inzwischen ganz bewusst. Max Payne 3 etwa hat das Problem der subjektiven Perspektive gelöst. Man sieht zwar im Bild den Mann, den man da steuert, gleichzeitig ist man auch er. Dieses Paradox löst das Spiel über Effekte: Max ist tablettensüchtig, leidet an Schwindel und, wie der Psychologe sagen würde, Identitätsdiffusion. Und das sieht man eben auch. Denn das Bild flackert und flirrt und gibt dem Spieler so den Gemütszustand seiner Figur. Robert Montgomerys Film „Lady in the Lake“ hatte 1947 versucht, alles aus dem Blick des Protagonisten zu zeigen und ihn selbst somit nie. Das Experiment scheiterte. Max Payne macht es umgekehrt, es zeigt den Protagonisten immer und färbt das Bild doch gleichzeitig mit seiner Subjektivität. Das funktioniert erstaunlich gut.

Das Spiel erzählt auch etwas – ein Gangsterepos aus Sao Paolo, wo die Reichen mit Kokain und Blick auf die Favelas im Penthouse feiern, wo die dunkle Seite des Kapitalismus seine einzige ist. Dort erlebt Max Payne, der letzte Aufrechte, der immerhin Wort halten will in einer Hölle aus Neid und Lüge, eine Geschichte um Intrigen und Verrat. Zweimal gleich ist alles nicht, wie es scheint. Und dann ist da ein erhabener Moment der großen Umkehr, der stets versoffene Max Payne wirft die letzte Whiskyflasche in den Spiegel, schert sich die Haare und zieht los, um endgültig mit dem Bösen aufzuräumen. Das zitiert so viele kulturelle Bilder, von Travis Bickle aus „Taxi Driver“ bis zu Walter White aus „Breaking Bad“, man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, Anspielungen zu sehen. Vielleicht bei „Pat Garrett jagt Billy the Kid“, auf dessen Höhepunkt Garrett in den Spiegel schießt, weil er sich selbst verachtet.

Das passt, denn das Selbstmitleid ist ein großes Thema von Max Payne, das immer wieder in den Monologen des Helden vorkommt. Der unrasierte, scheinbar harte Kerl trägt es bis ins Unerträgliche vor sich her. Dass er eine Psychologie hat, ist neu. Überhaupt ist es neu, dass Videospielfiguren etwas empfinden.

Daran hat auch der großartige Hersteller dieses Spiels Anteil gehabt. Die New Yorker Firma Rockstar Games ist jahrelang die größte und wichtigste gewesen für jeden, der ernstzunehmende, epische Spiele wollte. Doch nun kommt ihr Prinzip an sein Ende. Die auf Dauer sehr mechanische Ballerei wirkt immer lächerlicher im Vergleich zu den großartig komplexen Hintergrundgeschichten. Letztere sind verschachtelt, am Film Noir geschult, und mit visuellen Überraschungen inszeniert. So schachteln sich Gegenwart und Erinnerungen kaum merklich ineinander, die Silhouette der Figur Payne bleibt aber – er bückt sich im Jetzt nach einer Dose Bier, plötzlich wandelt sich alles außer ihm selbst, die Dose ist ein Blumenstrauß geworden, den er am Grab seiner Familie niederlegt. Wie könnte man schöner die traurige Wahrheit illustrieren, dass der Säufer tief in Melancholie und Vergangenheit lebt.

Doch die Schieß-Sequenzen, das einzige, das der Spieler selbst steuert, sind dagegen einfach zu stumpf – immer neue Feinde, immer in absurder Zahl, kommen aus allen Türen und um alle Ecken auf das Spieler-Ich zugerannt. Bei anderen Shootern muss man immerhin mal ein Schnellboot fahren oder ein Schloss knacken. Nicht bei Max Payne. Er ist wie der Blues – bodenständig, ehrlich, und leider immer das gleiche.

Und nicht nur das, Rockstar Games kommt auch in inhaltlicher Hinsicht an eine Grenze. Die Köpfe des Unternehmens, die Brüder Sam und Dan Houser, lieben die Geschichte des einsamen Helden, der Last an einer dunklen Vergangenheit trägt. Alle Ihre Helden waren gebrochen und hatten Schuld auf sich geladen. Da war Nico Bellic aus „GTA4“, der Serbe, der es in New York als Gangster versucht und aus dem Balkankrieg eine offene Rechnung sowie ein sehr schlechtes Gewissen mitbringt. Da war John Marston, der einsame Reiter aus „Red Dead Redemption“, der einst Gunman war und am Ende des Spiels büßen wird. Und da war Cole Phelps aus dem Spiel „L. A. Noire“, der Schuld aus dem Zweiten Weltkrieg mitbrachte und am Ende der Story dafür bezahlen wird. Griechische Tragödien, in deren Zentrum harte Männer zerbrechen. Das war mal höchst innovativ, schließlich hatten Videospiele kaum überhaupt eine Story. Inzwischen möchte man einfach nur noch eins dazu sagen: Es wird dringend Zeit für eine zweite Idee!

Max Payne 3 ist technisch brillant. Aber es kann sich nicht recht zwischen stumpfer Action und kluger Idee entscheiden. Es war klar, dass niemand die Spiele von Rockstar Games übertrumpfen kann, sie mussten sich selbst besiegen: Hier schafft fällt der Action-Shooter mit ausgefeilter Story quasi dialektisch in sich zusammen. Er wurde bis an sein Maximum getrieben, man spürt schon, dass mehr nicht geht. Man kann ihn nun noch ein letztes Mal genießen.

Eine ähnliche, nur etwas kürzere Fassung dieses Artikels erschien am 1. Juni 2012 im Feuilleton der „Welt“

 

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